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Retro im Aufschwung: Kann der moderne Fußball ohne Retroelemente?

Der moderne Fußball und die Kommerzialisierung: Regelmäßiger Gegenstand einer heißen Debatte. Utopische Gehälter, teure Trikots, teils unleistbare Stadionbesuche. Und doch findet man oftmals Retroelemente im Fußballumfeld. Ist die Mär von der guten, alten Zeit doch mehr als nur eine Floskel?

Trikots mit Retroelementen – heute unverzichtbar?

Es ist zwangsläufig eine Debatte, die immer wieder aufkommt. Viele Vereine haben in den vergangenen Jahren gänzlich neue Farben auf den Auswärtstrikots präsentiert. Das wird bei manchen Vereinen stillschweigend hingenommen, erzeugt anderswo aber vielleicht schon wieder einen Aufstand.

Wie es gehen kann, hat Ajax Amsterdam kürzlich gezeigt: Das Trikotmuster ist an die legendären 70er-Jahre angelehnt, als der mittlerweile verstorbene Johan Cruyff die Schuhe für den Verein schnürte. Viel interessanter noch: Die Trikots werden ohne Spielernamen verkauft (aufgrund der UEFA-Regularien muss im Europapokal mit Namen gespielt werden), wie es größtenteils bis in die Mitte der 1990er-Jahre der Fall war. Detailliebe wird vom Fan umso mehr geschätzt, die Trikots verkaufen sich wie warme Semmeln. Fast noch besser angenommen wird das Trikot der Ajax-Frauen: Dort ist mit ABN Amro nämlich der Sponsor der glorreichen 90er-Jahre zu sehen, der außerdem den roten Bereich weniger verdeckt.

Ein weiteres Beispiel: Die offizielle Neuauflage der legendären Napoli-Trikots von Ennerre aus den 1980er-Jahren ist nur bei einem Shop erhältlich und erhielt speziell nach dem Tod von Diego Maradona reißenden Absatz, trotz hoher Preise von rund 200 Euro pro Trikot.

Das ursprüngliche Nike-Logo auf den dritten Trikots

Besonders dritte Trikots werden gerne dafür verwendet, spezielle Elemente zu beinhalten, um einen Kaufanreiz für ein selten getragenes Trikot zu bieten. Nike arbeitet seit einiger Zeit wieder mit der früher verwendeten Text-Bild-Marke auf den dritten Trikots von Clubs mit höherem Merchandisingumsatz, wie zum Beispiel Liverpool oder der AS Roma.

Die vereinzelte Rückkehr von Nike zum Traditionslogo facht auch regelmäßig die Gerüchte an, dass auch Adidas zum altbekannten Trefoil-Logo für Spielertrikots zurückkehrt. Bis dato war das nur bei den Humanrace-Trikots der Fall, aber es darf damit gerechnet werden, dass auch hier noch etwas folgt.

Das Humanrace-Trikot von Arsenal mit dem klassischen Trefoil-Logo
© Adidas

Ein neues Wappen: Fast immer ein Shitstorm

Vereinswappen stehen grundsätzlich für Tradition. Auch wenn kaum ein (Traditions)Verein vom Gründungstag an das selbe Wappen hat, so ist es doch etwas, mit dem man sich identifiziert. Die Identifikation beginnt schon damit, dass ein Wappen niemals abwertend „Logo“ genannt wird. Um drei Negativbeispiele zu nennen: Leeds United, Inter Mailand und Juventus Turin.

Es ist mit den Wappenerneuerungen ähnlich wie bei Neubauten: Den besonderen Charme von früher versprühen sie eher selten. Meist sind es einfache Gestaltungen ohne irgendeiner emotionalen Aufladung. Juventus hat nun ein ziemlich nichtssagendes „J“ statt dem vormals bekannten Wappen.

Bei Leeds kam es nicht einmal soweit: Der Entwurf wurde nach einem Shitstorm nicht übernommen, das Wappen blieb bestehen. Es zeigt sich bei diesen Beispielen, dass es gerade im Fußball ein heikles Thema ist, Fans zu wenig in solche Fragen mit einzubeziehen. Denn sie sind es am Ende in erster Linie, denen ein Wappen oder Trikot gefallen muss.

Inter hat jedoch nicht nur das neue Wappen als Problem: Der langjährige Sponsor Pirelli wurde abgelöst, das neue Trikot wird von vielen Fans und Trikotaficionados als „zerstört“ angesehen – aufgrund der Darstellungsform des neuen Sponsors mitsamt Domain. Auch das Zickzackmuster des letzten Heimtrikots sorgte schon für wilde Diskussionen, wurde von vielen Fans aber auch als schönes Exemplar gesehen.

Auf Nationalteamebene kann auch der neu gestaltete Bundesadler auf dem Trikot der österreichischen Nationalmannschaft erwähnt werden, der – neben der türkisen Farbgebung – regelmäßig kritisiert wird.

Wenn neue Ausrüster alte Trikots nachbauen…

Ein Phänomen der letzten Jahre ist es, dass sich Ausrüster stark an einem Trikot aus der Vergangenheit orientieren, welches vor einigen Jahren jedoch von einem Konkurrenzunternehmen produziert wurde. So hat Nike bei der AS Roma in der Saison 2019/20 ein drittes Trikot produziert, das an ein Muster von Adidas in den 1990er-Jahren angelehnt war. Das Trikot ist eines der meistbegehrten modernen Trikots und in Erwachsenengrößen schlichtweg vergriffen.

Um in Italien zu bleiben: Der nunmehr in die Serie B abgestiegene Verein Parma Calcio mit Ausrüster Errea ist trikottechnisch aktuell in aller Munde. Vereinslegende Gianluigi Buffon wechselte zurück in die Emilia-Romagna und kam sich wohl sofort vor, als wäre er nie weggewesen: Sein rotes Torhütertrikot ähnelt einem seiner letzten Trikots aus dem Jahr 1999. Und auch das Heimtrikot von Errea ist ident zum Lotto-Leibchen aus den glorreichen Jahren Ende der 90er.

Borussia Dortmund hat von Puma ein Sondertrikot für den 29. Spieltag der Saison 2020/21 bekommen, das an ein nicht weniger legendäres Muster – wieder einmal aus den 1990er-Jahren – erinnert. Auch hier wurde der Rückenflock an das Nike-Design von damals angepasst.

Bild
© Borussia Dortmund

Weitere Beispiele: Das neue Auswärtstrikot von Liverpool (ebenso Nike) erinnert an das Reebok-Trikot von 1997, das Boca Juniors-Auswärtstrikot von 2020 an die Version von 1990.

In Brasilien hingegen hat Umbro vor wenigen Tagen gleich eine ganze Retro-Kollektion für mehrere Vereine rausgebracht. Die Linie läuft allerdings unter dem Begriff „Lifestyle“ – wieder einmal ein Zeichen, wie die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden wird, wenn auch manchmal nur in der Sprache. In den sozialen Medien sind die Kleidungsstücke bereits jetzt populär:

Umbro Brazil Retro Kits Collection Released - 7 Teams - Footy Headlines
© Umbro

Die Frage bei solchen Entwicklungen ist schlussendlich, wie lange es noch dauern wird, bis es eine Art „Retro-Spieltag“ in der deutschen Bundesliga geben wird, um auch Nostalgiker abzuholen. Den geneigten Fan kann man für einige Stunden in gute, alte Zeiten zurückversetzen und die Vereine möchten sich das Geld, das durch ein Sondertrikot hereinkommt, wohl auch nicht entgehen lassen. Ich erwarte hier eine dementsprechende Entwicklung in den nächsten Jahren – ist nur die Frage, wer damit anfängt.

Retro-Trikots in Österreich

In Österreich gibt es vergleichsweise wenige Reminiszenzen an alte Trikots, jedoch auch erkennbare Retroansätze.

Was dafür deutlich erkennbar ist: Traditionsvereine wie Rapid, Austria, Sturm Graz oder Wacker Innsbruck setzen beim Merchandising stark auf den nostalgischen Effekt.

Reißenden Absatz fand im Mai 2021 beispielsweise die sponsorlose Retro-Version des Finaltrikots des Europacups der Cupsieger des SK Rapid von 1996. Das Trikot erschien passend zum 25-jährigen Jubiläum des Finalspiels, war sofort in aller Munde und bald vergriffen.

Weil es schlichtweg an die „gute, alte Zeit“ erinnert, kam auch das Retrotrikot des SC Eisenstadt gut an: Das Trikot, das man im letzten Bundesligajahr 86/87 als „SC Eduscho Eisenstadt“ trug, wurde nachgebildet – auf einem heute bestehenden Adidas-Muster mit dem neuen Adidas-Logo. Der GAK brachte kürzlich ebenso ein bekanntes Muster aus den 80er-Jahren auf den Markt, das Ausrüsterlogo aus der damaligen Zeit wurde geschickt umgestaltet.

Vereinslegenden werden inzwischen auch verstärkt in die immer besser gestalteten Trikotpräsentationsvideos eingebunden: So Alfred Körner 2019 bei Rapid oder Herbert Prohaska bei der Wiener Austria. Erinnerungen an die gute alte Zeit sind eben zu einem Teil der Verkaufsstrategie geworden.

Fazit

Die Beispiele zeigen es: So ganz kommt auch der (hyper)moderne Fußball nicht ohne der Vergangenheit aus. Gerade im europäischen und südamerikanischen Fußball ist die Tradition ein nicht zu verachtender Faktor, den man immer besonders berücksichtigen sollte – sei es von Verein, Ausrüstern oder Sponsoren. Als einige Vereine im Frühling 2021 die Super League aus dem Boden stampfen wollten, stellten sich Fans von (großteils bereits gekauften und ebenso verkommerzialisierten) Clubs auf die Barrikaden. Das zeigt auch, dass es nicht mehr viel weiter nach oben gehen kann für die Kommerzialisierung. Grenzen wurden stellenweise ohnehin schon überschritten, mit Retroelementen wird allem Anschein nach versucht, die Fans zwischendurch zu besänftigen.

Zu berücksichtigen ist dabei aber auch immer, dass mit einem Konzept alle/möglichst viele abgeholt werden müssen: Interessiert sich ein 20-jähriger Fan wirklich dafür, dass das Trikotdesign wie in den 90ern aussieht? Während ich begeistert darüber war, dass ich ein Rapid-Trikot von 1979 meiner Sammlung hinzugefügt habe, so meinte mein bald 18-jähriger Großcousin, dass ihm die alten Designs ohnehin nicht gefallen würden.

Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass die Verantwortlichen teilweise kein Gespür für die Bedürfnisse der Fans haben – und diese sollten am Ende des Tages doch noch immer die wichtigsten Personen für Veränderungen sein, denn von ihnen müssen diese akzeptiert werden. Nur zwei Beispiele: Will der durchschnittliche Fan wirklich eine Änderung der Abseitsregel? Ist das Thema einer Debatte? Oder haben die teils absurden UEFA-Regelungen zu Trikots für irgendeine Seite einen Vorteil, außer, dass im schlimmsten Fall Mehraufwand für die Vereine besteht? Ich wage es in beiden Fällen zu bezweifeln.

Um auf den Schwerpunkt meiner Seite abschließend noch einmal zurückzukommen: Als intensiver Beobachter kann festgehalten werden, dass über Trikots nur in zwei Fällen wirklich intensiv gesprochen wird: Entweder sind sie so schlimm oder anders als bisher gestaltet, dass es spürbaren Gegenwind gibt oder zumindest eine heiße Debatte vorherrscht. Oder sie sind so positiv mit einer nostalgischen Geschichte aufgeladen, dass überall von ihnen geredet wird.

Headerbild: © Pexels

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